Klimawandel in Graphic Novels

Von düsteren Aussichten und der Hoffnung im Protest

10:29 Minuten
Auf der Zeichnung aus der Graphic Novel "Soon" von Thomas Cadene und Benjamin Adam ist eine verstopfet Straße zu sehen, im Hintergrund Leuchtreklame, die Häuser scheinen sich oben zur Straße hinzubiegen.
Das Buch „Soon: Die Welt im Jahr 2151" von Thomas Cadene und Benjamin Adam wartet mit dunkel gehaltenen Zeichnungen auf. Es blickt aus einer dystopischen Zukunft zurück. © Carlsen
Susanne Billig im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Die Literatur hat längst den Klimawandel als drängendes Thema entdeckt. Auch Graphic Novels greifen die Bedrohung durch die Erderwärmung auf und eignen sich besonders gut, das Drama der Klimakatastrophe zu erzählen. Welche davon sind zu empfehlen?
Susanne Billig hat die Graphic Novels der vergangenen zwei Jahre durchstöbert und ist auf viele Titel zum Thema Klimawandel gestoßen: Es erscheinen jedes Jahr einige Titel dazu, hat sie festgestellt.

„In der Klimakatastrophe steckt unglaublich viel Drama“

„Das erstaunt auch nicht, weil die Graphic Novel sich mit ihren Stilmitteln ganz wunderbar für dieses Thema eignet“, sagt sie. „In der Klimakatastrophe steckt unglaublich viel Drama, und die Graphic Novel neigt zum Expressionismus.“
Während unsere Kritikerin von der wissenschaftlichen und historischen Bearbeitung zum Teil begeistert war, hat sie unter den erzählenden Titeln wenige gefunden, die sie empfehlen würde: „Ich fand leider, dass in den erzählenden Titeln das Thema so versymbolisiert und verklausuliert wird, dass man es kaum wiedererkennt“, erklärt sie.

Bruno Pinto, Quico Nogueira, Nuno Duarte: „#Klimawandel Challenge“
Übersetzt von Nicola T. Stuart
Jacoby & Stuart, Berlin 2021
80 Seiten, 12 Euro

„Jugendlicher geht es nicht: Eine Reisegeschichte mit ganz schnellen Schnitten, vielen Ortswechseln. Ein Geschwisterpaar reist durch Europa und lernt die verschiedensten Menschen kennen, die extreme Wetterereignisse dokumentieren oder Zukunftsideen haben – zum Verkehr in Paris oder zur Luftqualität in polnischen Städten. ‚#Klimawandel Challenge‘ ist zeichnerisch eher klassisch angelegt, so wie ein Comic aus den 1970er-Jahren. Gut geeignet für Schülerinnen und Schüler, die sich informieren wollen über das Thema, das aber kurzweilig tun wollen.“

Hanna Harms: „Milch ohne Honig“
Carlsen, Hamburg 2022 (Erscheint am 30. August)
112 Seiten, 20 Euro

"'Milch ohne Honig' ist von einer sehr jungen Zeichnerin. Sie findet beeindruckend poetische, ganz anrührende Bilder. Hanna Harms nimmt Gelb als einzigen Farbakzent, sparsame Zeichenstriche: die Biene auf ihren Wegen in ihrem Stock, attackiert von Milben, orientierungslos im Giftnebel der Pestizide. Dazu ganz sparsam hingetupfte Erklärtexte, aber sehr, sehr gut recherchiert."

Yuval Noah Harari, David Vandermeulen, Daniel Casanave: „Sapiens. Die Falle“
Übersetzt von Andreas Wirthensohn
C.H.Beck, München 2021
226 Seiten, 25 Euro

„Ein spannendes Buch, ich kann es wirklich sehr empfehlen. Ich habe es mit Genuss gelesen. Es arbeitet die Frage auf, wie wir menschheitsgeschichtlich eigentlich hineingeraten sind in dieses Fortschrittsparadigma, aus dem wir kaum noch herauskommen, in dem wir uns völlig verirrt haben. Das Großartige an diesem Buch ist, dass die Zeichner die teils sehr abstrakten Ideen von Harari – Geldwirtschaft oder die Macht der Institutionen – in dem Buch in witzige Comic-Elemente und kleine Fantasy-Storys verwandeln.“

Christophe Blain, Jean-Marc Jancovici: „Welt ohne Ende“
Übersetzt von Ulrich Pröfrock
Reprodukt, Berlin 2022
196 Seiten, 39 Euro

„Ein einzelner Wissenschaftler, hier der französische Klimatologe Jancovici, führt als Erklärbär und Mansplainer durch die Thematik. Ganz am Anfang springt er als jugendlicher Superheld mit all seinen wunderbaren Eigenschaften, die textlich angemerkt sind, auf die Seite zwei. Tatsächlich hat der Mann die 70 schon überschritten. Das Buch präsentiert anfangs wirklich viele interessante Zahlen zum weltweiten Energieverbrauch, ganz detailreich, und hat ebenso viele Comic-Einfälle wie ‚Sapiens‘. Aber dann läuft plötzlich im letzten Drittel alles darauf hinaus, dass die Menschheit nur eine einzige Zukunft hat: die Atomkraft. Und siehe da: Jancovici ist Forschungsdirektor der französischen Atomenergiebehörde. Das hat mich schon erstaunt, dass der sehr verdienstvolle Reprodukt-Verlag ein Buch herausbringt, das so offensichtlich ausschließlich Lobbyarbeit für die Atomenergie machen möchte.“

Alexandra Hamann, Claudia Zea-Schmidt, Reinhold Leinfelder (Hrsg.): „Die große Transformation. Klima – Kriegen wir die Kurve?“
Mit Illustrationen von Jörg Hartmann, Jörg Hülsmann, Iris Ugurel, Robert Nippoldt, Christine Goppel, Astrid Nippoldt
Jacoby & Stuart, Berlin 2020
144 Seiten, 16 Euro

„Ein Buch, das seit 2013 in immer neuen Auflagen erscheint. Neun Spitzenwissenschaftler und -wissenschaftlerinen aus der Klimaforschung, aber auch aus den Wirtschaftswissenschaften, aus den Politikwissenschaften – also ein Spektrum: Und jede Figur erläutert in einem Kapitel in schönen Schwarz-Weiß-Zeichnungen aus ihrer Perspektive, was es braucht, damit wir ‚die große Transformation‘ stemmen können.“

Hanna Poddig, Christopher Leo: „Kleine Geschichte der Umweltbewegungen. Von Radieschen und Revolutionen“
Unrast Verlag, Münster 2020
112 Seiten, 9,80 Euro

„Das Buch ist kein Comic im allerstrengsten Sinn, hat aber starke Comic-Anteile: Es blickt sehr interessant zurück auf Wandervögel- und Pfadfinder- und Bioladen-Bewegung. Widerstandsgeschichte gegen Atomkraft, Massentierhaltung, Globalisierungskritik, Gentechnik – all das taucht auf. Und es stellt sehr interessante Fragen auf einer Metaebene: Wann ist Protest erfolgreich? Gibt es so etwas wie unsichtbare Erfolge, Langzeitwirkungen von Protesten in den tiefen Schichten der Gesellschaft. Das fand ich einen sehr interessanten Ansatz.“

Emma: „Ein anderer Blick auf den Klimawandel“
Übersetzung von Lena Völkening
Unrast, Münster 2021
96 Seiten, 14,80 Euro

„'Ein anderer Blick auf den Klimawandel‘ ist ein erfrischender, kleiner Comic von der französischen Zeichnerin und Internetaktivistin Emma: Viel leeres Papier, kinderbuchähnliche Aufmachung, Schreibschrift, freundliche, kleine Figürchen. Aber in der Aussage ist Emma sehr radikal: Sie sagt, es sei total naiv zu glauben, dass wir einfachen Leute durch persönliches Wohlverhalten noch etwas an der Klimakatastrophe drehen könnten. Wir sortieren unseren Müll und die Industrie kippt ihn wieder zusammen. Wir wollen fleischfrei einkaufen und dann landen wir bei hochindustriellen, plastikversiegelten veganen Produkten. Es braucht, sagt Emma – kleiner Comic, große Wucht – einen echten Systemwechsel: Für den sollten wir uns alle engagieren, anstatt zu Hause darüber zu streiten, wer sein Papierchen in welchen Mülleimer geworfen hat.“

Miguelanxo Prado: „Die Lethargie“ (Trilogie, Band 1: Das gestohlene Triskel)
Übersetzt von André Höchemer
Carlsen, Hamburg 2021
112 Seiten, 22 Euro

Das Buch „Die Lethargie“ von dem spanischen Künstler Prado zählt zu denen, bei denen man am Ende das Thema Klimawandel nicht mehr wiedererkennt, wie Susanne Billig sagt. „Prado malt wunderschöne Bilder und prangert menschliche Habgier an und Gewalt und Naturzerstörung. Aber dann packt er das Ganze in eine Fantasy-Geschichte, die sich sehr verselbstständigt: Auf einmal geht es nur noch um den üblichen sorgenvollen Professor und den gut aussehenden, jungen Helden und die junge, hübsche Frau, die auch dazukommt, und um Magier und Dämonen – und es wird einfach banal.“

Benjamin Adam, Thomas Cadene: „Soon: Die Welt im Jahr 2151“
Carlsen, Hamburg 2020
240 Seiten, 30 Euro

„Erzählerisch gekonnter als ‚Die Lethargie‘. Das Buch spielt spannenderweise im Jahr 2151: Da ist die Klimakatastrophe längst passiert. Pandemien haben die Menschheit total dezimiert, es gibt nur noch sieben Städte, die Natur darf niemand mehr betreten, damit sie sich erholen kann. Die Machart ist leider etwas genialistisch. Die Bilder sind so düster, dass ich die meiste Zeit nicht gewusst habe, was soll ich da eigentlich erkennen. Das fand ich ein bisschen kontraproduktiv. Aber interessant ist das, dass das Buch eben aus der Zukunft in unsere Zeit zurückkommt und versuchsweise all die Fragen beantwortet, die wir jetzt so haben: ‚Oh Gott, wie soll das denn alles weitergehen?‘“

Lukas Jüliger: „Unfollow“
Reprodukt, Berlin 2020
160 Seiten, 18 Euro

„In ‚Unfollow‘ gibt es mit Earth Boi eine interessante Hauptfigur: Er fängt an als eine Art Öko-Jesus mit geheimen Naturverbindungsfähigkeiten, wird dann zum Social-Media-Akivisten, zum Influencer, und stürzt dann fulminant ab zum Sektenguru. Das ist sehr sanft und fast süßlich gezeichnet, was einen Gruseleffekt ergibt. Hoffnungsvoll ist da gar nichts mehr, sondern die junge Generation verstrickt sich völlig in ihren Instagram-Eitelkeiten und der Öko-Aufbruch scheitert an sich selbst. Es ist nicht komplett dystopisch, sondern versucht, die Schwebe zu halten. Manchmal gibt es Hoffnung – diese Städte haben alle ganz interessante Konzepte, wie man versuchen konnte zu überleben. Aber natürlich hat das auch einen dystopischen Anteil.“

Leslie Plée, Doan Bui: „Glauben Sie an die Wahrheit?“
Übersetzt von Christiane Bartelsen
Carlsen, Hamburg 2022
176 Seiten, 22 Euro

„'Glauben Sie an die Wahrheit?‘ setzt sich mit dem ganzen Thema Verschwörungsmythen auseinander: Es ist eine Reise einer Journalistin durch die Welt der Verschwörungsmythen und auch durch die Welt der Klimaskeptiker. Visuell tritt es ganz einfach auf, es lotet das Thema aber sehr gut und differenziert aus.“

Bruno Duhamel: „Niemals“
Übersetzt von Lilian Pithan
avant, Berlin 2022
64 Seiten, 20 Euro

„'Niemals‘ ist ein sehr hübsches Buch und wirklich ein Hoffnungsträger. Es geht um eine 95-jährige Dame, deren Haus an einer Steilküste liegt und vom steigenden Meeresspiegel aufgefressen wird. Sie soll da ausziehen und ins Altersheim. Sie weigert sich aber und zieht nicht aus. In einem Tim-und-Struppi-Stil gezeichnet. Die Dame lebt in diesem anrührenden Büchlein vor, wie Protest und wie selbstbestimmtes Leben auch im allerhöchsten Alter noch geht.“

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